Vorweg: Der Tipp „Lies doch einfach nicht mehr im Internet, das macht dich ja total kaputt.“ funktioniert nicht. Hier spielt sich ein Großteil meines Jobs ab und darüber hinaus: Ist das die Lösung für das Problem? Einfach Abschalten? Nein nein, damit bleibt nur noch mehr Raum für Scheiße. Und ich verpasse Gutes – so wie gestern: In einem Posting des SZMagazins wurde ein Tweet von Max Scharnig aufgeführt:

Mich seit Wochen gefragt, warum ich so gestresst und erledigt bin. Heute gedacht: Es ist gar nicht, weil so viel zu tun wäre. Sondern weil so viel auszuhalten ist.

https://twitter.com/Schrngg/status/1321444083643125760

Und mit diesem Tweet ging mein Tag des 28.10.2020 zu Ende.

Am gleichen Tag, also gestern, wurden die neuen Maßnahmen bekanntgegeben, die die Pandemie eindämmen sollen. Ein Schlag ins Kontor, für alle Künstler. Die Veranstaltungsbranche, die Gastronomie. Für jeden Soloselbstständigen, für jeden Freischaffenden da draußen. Aber bevor ich auf das aktuelle Geschehen zurückkomme, ein kurzer Rückblick auf das Jahr 2020.

Phase 1: Ich bin verwirrt.


Im Frühjahr, vor dem ersten Lockdown, kam ich gerade aus Katowice zurück. Eigentlich immer eine gute Zeit mit vielen tollen Kollegen, die ich regelmäßig seit 2015 sehe, wann auch immer ich für ESL Events gebucht wurde. Diese IEM war allerdings anders. Statt einer vollen Arena wurde das Turnier ohne Zuschauer gespielt. Als wir bei der Eröffnung gemeinsam vor der Bühne standen, um uns die Opening-Ceremony anzusehen, die immer ein echtes Highlight für uns alle und auch für die Fans ist, war es ungewohnt still. Das Pfeiffen der Feuer-Fontänen war so laut, wie ich es noch nie gehört habe. Gänsehaut. Umdrehen. Kein Jubel. Enttäuschung. In erster Linie, weil sich Cutter, Producer und Kameramänner monatelang dafür abmühen, ein Highlight zu produzieren, was die Leute aus den Sitzen reißt – ein kleiner Trost: Wir streamen ja. Die Leute können es sehen. Aber ich kann Euch eins sagen: Das ist nicht das Gleiche. Das ist nicht das, was einen immer so glücklich gemacht hat. Das Jubeln, die begeisterten Gesichter – in dem Moment war bereits klar, dass das jetzt lange nicht mehr so sein wird und das das nicht nur uns betreffen wird.

Im Flieger auf dem Rückweg hat man versucht zu begreifen, was da passiert ist. Es dürfen keine Menschen ins Stadion. Es gibt dieses Virus. Das müssen wir klein halten. 

Zu Hause dann das erste Mal das Gefühl, das etwas anders ist.
Ich habe am nächsten Tag Fieber bekommen. War schlapp und kaputt. Das ist eigentlich nichts Neues, nach 9 Tagen on Tour – aber ich habe Angst bekommen. Was, wenn ich jetzt Corona hab? Was bedeutet das für mich und meine Arbeit? Meinen Partner, der beim Fußballverein arbeitet? Dann habe ich beim Gesundheitsamt angerufen. Die haben sich angehört, wo ich gerade herkomme und mir geraten, einen Test zu machen. “Machen Sie sich bitte keine Sorgen und ich finde es super, dass Sie anrufen. Rufen Sie Ihren Hausarzt an.” Das habe ich dann gemacht. In der Mittagspause der Praxis (damit keine anderen Personen vort Ort sind) bin ich mit Mundschutz rübergegangen. Die Arzthelferin, komplett in Schutzkleidung, hat mir die Tür geöffnet und es wurde im Flur vom Arzt, ebenfalls komplett in Schutzmontur eingekleidet, ein Rachenabstrich genommen.
Ich würde so schnell es geht eine Rückmeldung bekommen.
Am folgenden Morgen war das Fieber weg. Wahrscheinlich war ich einfach nur erschöpft, denn so habe ich mich auch immernoch gefühlt. Ich rief meine Bandkollegen an und sagte den Gig für’s Wochenende ab – ich wusste ja nicht, wie das Testergebnis ausfällt. Die Jungs konnten das verstehen. Eine Entscheidung für die Sicherheit von allen, dachte ich.


Ich sagte generell erst einmal alles ab. Ich war nicht einkaufen, gar nicht draußen. Habe jeden Tag 12 Stunden geschlafen. Am Montag, als das Ergebnis – negativ – da war, war ich erleichtert. Und durch das ganze Schlafen ging es mir körperlich wesentlich besser. 

Noch ein, zwei Drehs, waren im Kalender vermerkt. Das Gefühl auf dem Weg zu den Produktionen, war ein Ungewohntes. Man hat ja Nachrichten geguckt und Artikel gelesen. In der Zeit fiel es mir schon extrem schwer, mich bei der Arbeit nur auf die Arbeit zu konzentrieren. Ich dachte ununterbrochen darüber nach, ob das jetzt vielleicht vorerst unsere letzten Produktionen sind und was das finanziell bedeuten würde. Ich konnte nicht mehr gut schlafen. Ich wünschte mir, ich hätte die Woche, in der ich zu Hause bleiben musste, mehr wertgeschätzt und machte mir Vorwürfe. 

Nach dieser also kurzen körperlichen Belastung folgte mit dem ersten Lockdown die psychische. Ich arbeite generell im Homeoffice. Zwar hatten Tobi und ich in diesem Jahr vor, in unserem neuen Büro richtig durchzustarten, aber als in meiner Facebook-Timeline gleich zu Beginn die ersten Kommentare auftauchten zu “Was soll ein Stück Stoff denn schon verhindern?”, “Ich lasse mich nicht von einer Maske einschränken!” fühlte ich mich unwohl dabei, raus zu gehen. Wegen diesen Leuten. Denen es egal war, ob anderen krank würden, weil sie sich weigerten, sich an Regeln zu halten.
Homeoffice also wie gewohnt. Ich konnte weiterhin schneiden, arbeiten, Drehs planen, die vielleicht niemals stattfinden würden.
Aber dann dann war da ja noch plötzlich der Partner im Homeoffice.
Spoiler: Wir haben uns nicht getrennt. Aber wenn man vorher, so wie ich, jeden Monat mindestens eine Woche weg war, jeder an seinem Arbeitsplatz arbeitet und dann plötzlich 24/7 aufeinander hängt, dann macht das etwas mit dir. Ich denke da an alle, die die Krise als Paar nicht überstanden haben. Nicht, weil sie sich nicht mehr lieben, sondern weil sie Abstand brauchten, um sich immer wieder aufeinander freuen zu können – was dann nicht mehr gegeben war. Dumme Sprüche auf Facebook, in fancy Bilder verpackt “Wenn du das hier mit ihm schaffst, dann seid ihr das perfekte Paar” oder “Lockdown ist wie Ehe, nur mit Maske” spammten das Netz. Lange nicht mehr habe ich mich so geschämt, ein Mensch zu sein.

In der Zeit konnte ich kaum noch schlafen. Ich war angekotzt von mir selber und dass ich nicht weiß, was los ist. Ich habe stundenlang am PC gearbeitet und konnte mich abends nicht mehr erinnern, was ich überhaupt gemacht habe. Ich habe verlernt stolz auf mich zu sein und ich habe extrem viel getrunken. 

Irgendwann habe ich angefangen Sport zu machen. 30 Tage Bauchmuskelchallenge wurde zu 30 Minuten Sport am Tag. Das war krass, weil ich glaube ich das letzte mal aktiv mit 18 Sport getrieben habe. Ich hatte keine Kraft mehr, seit ich meine Ausbildung angefangen habe. Keine Zeit, wenn ich um 9 angefangen und erst um 21 Uhr Feierabend hatte. Keine Kraft, als ich mich selbstständig gemacht habe. Keine Zeit, wenn ich um 8 Uhr angefangen habe und erst um 23 Uhr Feierabend hatte. Klar, “Man muss sich die Zeit dafür nehmen.” – oh ja, das weiß ich. Aber wenn man morgens nicht aus dem Bett kommt, weil man sich dazu psychisch nicht in der Lage fühlt, dann könnt ihr mir gerne erklären, wie man seinen Arbeitstag überhaupt schaffen soll, wenn man von 8-10Uhr damit Zeit verbringt, in der Dusche zu heulen.

Die Sportsache hat mir gut geholfen. Sie hat mir einen Push zu Beginn des Tages gegeben. Eine Art “Punkt auf meiner ToDo-Liste”, einen Grund aufzustehen – denn wenn wir mal ehrlich sind: Wieso steht man morgens auf, wenn man nicht “systemrelevant” ist? 

Phase 2: Ich bin nicht systemrelevant.


Ich habe angefangen, mir alte Fotos anzugucken. “Gute Erinnerungen an bessere Zeiten”, quasi. Ich erinnerte mich daran, wie ich 2014 mit welchen Hürden und Problemen in die Selbstständigkeit gestartet bin. Ich bekam etwas Auftrieb. Was man alles geschafft hat, was man alles schon überwunden hat. Ich erinnerte mich an den ersten, richtig herben psychischen Einschlag in meinem Leben. Ich erinnerte mich an meinen ersten Hörsturz und wie ich mich danach wieder berappelt habe. 

Ich wurde kreativ. Brainstormte mit mir selber, was man jetzt ggf. anbieten kann. Wie man bestehenden Kunden helfen kann. Ich telefonierte viel mit Kollegen und versuchte Ideen zu entwickeln. Ich erstellte mir einen Finanzplan für das Jahr 2020 und versuchte auf Biegen und Brechen irgendwie herauszufinden, wie es möglich ist, dass ich am Ende des Jahres nach Verbrauch aller Rücklagen bei 0 landen würde. Im April war das schlichtweg unmöglich. Steuerlast nach einem guten Geschäftsjahr 2019 ist ein hartes Brot. “Dann stunde doch.” Jau, gute Idee. Am Besten alles, damit 2021 dann direkt scheiße losgeht, dachte ich mir. “Dann nimm doch einen Kredit auf, die sind grade günstig.” Klasse, am Besten verschulde ich mich bevor ich überhaupt erahnen kann, ob eine Normalität zurückkommt. Denn das weiß ich auch heute nicht. Ich weiß nicht, was nächste Woche ist – ich weiß nicht, was in 2021 passiert.

Und deswegen blieb ich dabei: Nein, mein Plan ist super. Ich kriege das irgendwie hin. Das gute Gefühl war zurück. 

In den Gesprächen mit Kollegen immer wieder das Thema “Corona-Soforthilfe”, dann das Schlucken, dass nur Betriebskosten gedeckelt werden können. Die Enttäuschung bei allen, die eben keine oder extrem geringe Betriebsausgaben haben, weil sie zu Hause arbeiten. Jakob Lübke, Musiker aus Osnabrück, hat im Juni ein Video rausgebracht, was genau erklärt, was das Problem für eben diese Menschen – mich eingeschlossen – bedeutet hat. Und immernoch bedeutet:

https://www.instagram.com/p/CBv4FPlqLtF/

Dann die Gespräche im Bekanntenkreis, mit Freunden, mit entfernter Familie. Immer wieder wird gesagt “Ja, aber ihr bekommt doch jetzt Geld – wo ist das Problem?” und die Enttäuschung und das Unverständnis in meinem Blick, wenn diese Sätze fielen. 

Als wir wieder durften, fuhren wir kleine Produktionen. Unter anderem bei Pistole, jemandem, mit dem ich reden konnte – weil er, Gastro, nachfühlen konnte, wie es uns/mir geht. Im ersten Dirty-Talk-Livestream, den ich dann gemeinsam mit Tristan und Francesco vom FILMHANDWERK umsetzen konnte, spricht Jan Bröcker über die Situation in der Gastronomie. Was passieren kann, was passieren wird. Und ich muss während der Produktion fast heulen, weil ich mir denke “Wie zum Henker kann das passieren? Wieso müssen Menschen, die so viel aufgebaut haben, so viel Gutes tun, so stark sind, an so einem Punkt sein?” Nicht viel später muss Bernd Arold, den ich bereits bei Pistole kennenlernen durfte, sein Restaurant “Gesellschaftsraum” in München schließen. Pistole erzählt mir das am Telefon. Er ist sehr angefasst, während er darüber spricht. Ich bin es auch. “Danke für 12 wundervolle Jahre” schreibt Bernd auf seiner Homepage. 

Ich liebe Essen und somit liebe ich die Gastro. Tim Mälzer kämpft bei Markus Lanz mit den Tränen und ich sitze vor meiner “Wie überstehe ich Corona”-Finanztabelle und plane das Urlaubsbudget wieder ein. Nicht für Urlaub, denn den wird es dieses Jahr nicht geben. A) Weil ich es mir nicht leisten kann, 2 Wochen nicht zu arbeiten. B) Weil ich nirgendwo hinreisen will und damit dann ggf. noch meine Mitmenschen gefährde, weil ich mir im Flieger Corona einfange. Ich plane das Geld bewusst für Essen ein. Für ein paar Spenden. Für einen möglichen Kurztrip in eine Ferienwohnung, wann auch immer.

Als es wieder möglich war, bin ich viel Essen gegangen. Habe weiterhin beim Pizza-Onkel unseres Vertrauens gekauft und immer, egal wo wir hin sind, ein gutes Trinkgeld gegeben. Noch nie war es schöner und einfacher Unternehmen zu unterstützen.
Mai 2020: Das Brücks trumpft mit seinem Plan B auf – Das Burrito Cartel. Ich muss zugeben, dass ich noch nie im Brücks feiern war, weil mich die Musik leider nicht so kickt – aber ich kenne und folge Jimmy schon lange, bewundere ihn und so reservieren wir auch hier. Morgens, nach dem ersten Festmahl, knall ich ein Bild von Burrito und Bowl bei Instagram in die Story. Weltklasse Essen. Dann, 10 Minuten später, der Kommentar von einem Bekannten:

Erst jammern, dass ihr Selbstständigen kein Geld kriegt und jetzt sehe ich ständig irgendwo SInger-Songwriter oder andere “sogenannte Künstler” irgendwo Essen gehen in der Stadt. So seid ihr Selbstständigen, immer nur nehmen nehmen nehmen und immer nur jammern. Augen auf bei der Berufswahl!!!

Ich muss schlucken. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich gejammert habe. Ich fand meinen Ansatz gut, Geld für Restaurantbesuche und Drinks auszugeben. Ich werde wütend. Ich antworte trotzdem sachlich. Nach 20 Minuten Instagram Hin- und Her lenkt er ein und sagt: “Ok, sorry nochmal. Ich hab nie richtig überlegt, was das für euch alle bedeutet. Bin halt grade in Kurzarbeit im Homeoffice mit dem Kleinen und genieße das eigentlich total.”

Ich bin erschöpft.

Phase 3: Augen auf bei der Berufswahl


Wir haben einige Sachen umsetzen können. Irgendwie kommt wieder Flow rein. Man hat wieder richtige Drehs, die Planung geht gut von der Hand. “Ich glaube, das wird wieder”, sagt eine Kollegin, die das erste Mal nach langer Zeit im Homeoffice ein Meeting mit mir in ihrer Firma abhalten kann.
Am Folgetag bin ich mit einer Freundin zum Kaffee verabredet. Ich rufe sie morgens an und Frage, ob ich noch einen Kuchen backen soll. Sie antwortet sehr nasal “Ne, brauchste nicht. Ich habe grade eh keinen Appetit, bin total erkältet.” Ich stocke. “Würde mich ungern treffen, wenn du krank bist. “Oh Gott Marie ey, ich hab kein Corona man. Das ist nur ‘ne Erkältung.”

Wir sagen das Treffen für den Tag ab. Ich möchte auch keine Erkältung haben, denke ich mir. Wieso ist das sowieso so ein Ding derzeit? Menschen mit Erkältungssymptomen fühlen sich ausgegrenzt, weil man sie in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit komisch anschaut, wenn sie über 15 Minuten kontinuierlich husten? Ich persönlich fand es nie geil, wenn Leute mit einer Grippe ins Büro gekommen sind oder Drehs nicht abgesagt haben, weil sie es unbedingt – trotz Fieber und Schnupfen – machen wollten. Das war auch schon vor Corona so – und ich persönlich habe dann immer abgesagt, weil ich immer dachte “Oh nö, ich möchte einfach niemanden anstecken.” Dann habe ich einen Alternativtermin vorgeschlagen und die Produktion verlegt. Und das ist nicht leicht: Denn Krank-Sein bedeutet für uns Geldverlust. Veranstaltungsausfall. Zukunftsangst. Denn als Selbstständiger hast du in den seltensten Fällen einen Ersatz, der deinen Job übernimmt. Als Band kannst du nicht ohne Leadsänger auftreten. Aber trotzdem gibt es diese Entscheidungen.

“Damals” war das gerade im Privaten verantwortungsbewusst, heute ist das scheinbar für viele Ausgrenzung.

Beim Scrollen durchs Netz erkennt man derweil immer deutlicher eine “Wir vs Die”-Entwicklung. Unter jedem Artikel, in dem es darum geht, wie freischaffende Künstler leiden – Fotografen, Schauspieler am Theater, Tontechniker – gibt es Kommentare, wie z.B.:
“Wie kann man auch davon ausgehen, dass man als Tänzer Geld verdient?” oder “Dann soll der Tonmann doch zum Fernsehen gehen, das gibt es doch noch” oder aber auch – und den habt ihr vorher schon gelesen: “Augen auf bei der Berufswahl11!!1!!”

Augen auf bei der Berufswahl. Okok, denke ich mir. Immer, wenn ihr eine tolle TV-Show seht oder ein tolles Konzert besucht. Immer, wenn ihr tolle Fotos von Familienfeiern habt oder gut Essen geht, wenn ihr auf dem Saal feiert oder der Hochzeitsmusiker in der Kirche soooooo schön gesungen hat – dann, ja DANN sind wir alle super.
Aber jetzt? Jetzt haben wir uns schlicht und einfach dumm positioniert, über Jahre hinweg. Wir haben uns einfach einen scheiß Job ausgesucht. Als hätten wir im Kleingedruckten überlesen, dass unser Lebenswerk super cool und angesehen ist, aber in Zeiten einer Pandemie keine Garantie übernommen werden kann, dass das dann auch so bleibt.

Als ich meinen ersten – und letzten – Kommentar ever unter so einen Spiegel-Online Artikel setze, muss ich erst einmal lachen.
“Ihr habt hier nichts verloren!11! Trägst Masske, du Schlafschaf.” Alto Bello, ey. Richtig guter Kommentar, mit Original Rechtschreibfehler und 1!1!! – kurz danach komme ich nicht mehr aus dem Kopfschütteln raus.
Eine Dame kommentiert, dass ich damit sage, dass sie jetzt in Kurzarbeit nicht leiden müsse. Ein anderer schreibt, dass ich ja gut reden habe – wo der Staat mich doch immer trägt. Ich müsse ja weniger Steuern zahlen und meine Rente kriege ich ja auch von Merkel und Co. Er hingegen hat sein Leben lang gearbeitet und jetzt sind junge Tussen wie ich dafür verantwortlich, dass er keine gute Rente kriegt. Ich folge SeaWatch, das hätte er gesehen, sagt er. Ich würde also auch dafür sein, dass Ausländer wichtiger sind als unsere Alten. Die Flüchtlinge wären hier ja immernoch das größte Problem, sagt er.

Wow, denke ich. Das ist schnell eskaliert. Zudem zeichnet sich ab, was für Menschen da eigentlich diese totale Grütze verbreiten: Enttäuschte, verbitterte Leute. Die Frauen “Tussen” nennen, Kultur für unnötig halten und partiell auch etwas gegen Ausländer haben. Beeindruckend beängstigende Mischung. Mit solchen Menschen möchte ich niemals Kontakt haben. Gut, dass ich solche Leute nicht kenne, denke ich.


Meine Timeline ist voll mit Postings von Gastro und Unternehmern, die immer neue Ideen aus dem Hut zaubern, um ihr Unternehmen – und nochmal: IHR LEBENSWERK – am Laufen zu halten. Ich bin glücklich und drücke die Daumen, dass es alle schaffen, die ich so gern habe. Ich freue mich über die, bei denen die Soforthilfe gegriffen hat. Die Back on Track sind, wo es weitergeht. Und dazwischen, vereinzelt von entfernten Bekannten: “Aufwachen”. Und Comics, die witzig darstellen sollen, wie eine Maske einem Maulkorb gleicht. “Das wird man ja wohl noch sagen dürfen, das ist nur meine Meinung”, steht da drunter. 

Was ist Schlaf?

Phase 4: Ich kenne solche Leute nicht.


Ich komme nicht mehr richtig raus, aus dem Gedankenstrudel. Proteste der BLM-Bewegung in Amerika werden niedergeprügelt, Flüchtlingsbooten wird der Motor zerstört, damit sie bloß im “Zuständigkeitsbereich” des anderen Landes treiben. Waldbrände wüten in California und ich sitze zu Hause und frage mich, warum ich so ein nutzloses Stück Scheiße für den Planeten bin.

Ich lese in Whatsapp-Gruppen, dass Leute sich zum Feiern getroffen haben und da jetzt wohl jemand Corona hat und ein anderer schreibt “Ich stand überhaupt nicht nah bei dem.” Eine Freundin muss in Quarantäne, weil ein Familienmitglied seine Symptome nicht ernst genommen hat. Er ist positiv, sie nicht. Trotzdem muss sie als Erstkontakt 14 Tage zu Hause bleiben.

Nebenbei erzählt mir ein Kumpel, dass seine Mitbewohner sich mit 15 Leuten in der Wohnung getroffen haben. 2 davon aus Österreich. Die sind mit der Bahn gekommen. Er fühle sich seitdem irgendwie krank, habe Halschmerzen. Aber heute Abend würde er doch endlich seine Eltern mal wieder treffen, da sein Papa Risikopatient ist und das vorher nicht richtig möglich war – oder eher: sich für ihn immer unsicher angefühlt hat. Eine Bekannte schreibt auf Facebook: “Obwohl ich mit meinem kleinen Kind vor dem Supermarkt stand und nur eben Brot kaufen wollte aber meine Maske vergessen habe, haben die mich nicht reingelassen und es hat in Strömen geregnet. Unfassbar #DankeMerkel” und ich muss mir eingestehen: Doch, ich kenne solche Leute. 

Ich kenne Leute, die in Gesprächen erwähnen, dass sie das mit den Masken nicht so ernst nehmen. Die sagen, dass sie total kaputte Hände haben, von dem ganzen Desinfektionsmittel. Die sich aufregen, weil das Restaurant nur noch 6er Tische besetzt, um sich an die Abstände halten zu können. Die sagen, dass das alles doch ausgedacht sein kann, von der Politik. Die sagen, dass Demos, wo Menschen ohne Maske protestieren, dass sie keine Maske tragen wollen, weil sie in ihrer Freiheit eingeschränkt sind – auch ihr Recht haben, das zu machen – weil das hier immernoch eine Demokratie ist.
Die sagen, dass sie ein Video gesehen haben, in dem aber jemand sagt, dass das alles nicht stimmt und so lange das nicht bewiesen ist, sich auch weiterhin mit anderen treffen. 

Die sagen, dass sie nicht verstehen, wie ich so viel arbeiten kann aber nicht mehr Geld überhabe, um “dieses eine Jahr jetzt eben zu überstehen.”
Die sagen, dass ich mich immernoch umorientieren kann, wenn mir das mit meinem Job derzeit so kompliziert erscheint. Die auf meine Erklärungen und meine Bitten, sich an die Regeln zu halten, damit wir “Systemirrelevanten” die Chance bekommen, uns nicht aufgeben müssen nur damit antworten: Die Maske ändert nichts daran, Marie. Das ist ein Virus, wie die Grippe. Da wird man auch mal krank, manche mehr, manche weniger.

Das sind auch die, die sagen, dass man auch an die Wirtschaft denken muss. Menschen sterben nunmal, Marie. Und das sagen sie, während Töpfe für die Bahn und die Lufthansa und eben für alle, die eine Lobby haben, ausgeschüttet werden. Es gibt einen Moment, der die Fassungslosigkeit übersteigt. Der einen in eine Starre versetzt. So, als könnte man nicht mehr richtig sehen und alles ist verschwommen. 

Mein Tinnitus ist zurück – und das, obwohl ich nicht mal im Ansatz so viel arbeiten konnte, wie im letzten Jahr.

Phase 5: Was bleibt


Und jetzt zurück zu heute. Gestern habe ich ein Video von Till Brönner gesehen. https://www.facebook.com/watch/?v=1501640906891425

Auch danach musste ich weinen. Abends hatten wir dann ja noch eine Produktion. Mit Stoßlüften und Masken und desinfizieren. Da stand ich im Regen und hab geraucht und hab versucht, das so richtig aufzunehmen, was wir da machen. Heute morgen musste ich nochmal weinen, weil ich erneut nicht weiß, wie es weitergehen wird, in den nächsten Wochen und bis zum Jahresende. Ich hatte doch so einen guten Plan – aber was wird daraus, wenn wir die letzten Produktionen für dieses Jahr nicht machen können?

Auch muss ich dann weinen, weil ich nicht weiß, wie meine Freunde und Bekannten aus der Veranstaltungsbranche, Kollegen aus der Medienbranche und aus der Gastroszene das überstehen sollen. Weil ich Angst habe, dass ich zu wenig unterstützt habe. Weil ich nicht weiß, ob ich hätte mehr unterstützen können.

Und weil ich mich frage, wie, wenn man um all diese Sachen weiß, weiterhin privat auf alles scheißen kann. Regeln ignoriert, im Internet Dinge verbreitet, die man nicht belegen kann.
Wie man so handeln kann, im Wissen, das Menschen sterben und Existenzen zu Grunde gehen. Weil ich mich frage, wie man sich selbst so sehr an die erste Stelle stellen kann.
Zuhören solltet ihr Euch, während ihr sagt “Es geht hier um meine Freiheit, das ist meine Meinung, es geht um mein Leben und meine Entscheidung, wie ich damit umgehe.” – Nein, das tut es nicht. Es geht um Alle.

Und die Maßnahmen, die da anstehen, die halte ich für richtig, ja. Aber: Wenn unsere Szene weiterhin irrelevant bleibt, es keine sinnvollen Dialoge gibt, dann gibt es diese bald nicht mehr. Dann kann man das nicht mehr aushalten, irgendwann. Und ich verstehe es, dass Menschen darunter zusammenbrechen. Weil man weiß, wie andere Menschen ihre Mitverantwortung nicht verstehen. Und während man selbst alles dafür tut, dass es irgendwie funktioniert, organisieren 700 Menschen in Berlin eine Fetischparty und spreaden all over the place.

Ich glaube daran, dass Mutti sich was überlegt. Aber ich glaube nicht mehr an das Gute im Menschen, in 2020.

Und so liege ich immernoch im Bett. Unmöglich, aufzustehen. Erschlagen vom Egoismus, der fehlenden Empathie und dieser ganzen Scheiße.