… und dann ist das nur 30 Sekunden lang?!

11.04.2018

JA.

Die letzte Diskussion, die ich über meine letzten Projekte hatte, war ungefähr folgendermaßen:
„Alter. Wieso fahrt ihr da 3 Tage hin, wenn das Video nur 1Minute lang wird?“
„Naja, weil wir alles, was im Video erzählt wird, abdecken wollen. Also müssen wir einige Locations abfahren und eine Menge Material sammeln. Aber du – Kollegen von mir, die viel größere Produktionen fahren, drehen ja sogar noch länger. Also, du willst ja auch das Beste vom Besten nutzen. Und nicht irgendwas, was sich so ergeben hat, zusammerotzen, statt dich an deinen Drehplan zu halten.“
„Verstehe ich nicht. Viel zu viel Aufwand, für so ein kurzes Video. Vielleicht plant ihr das dann auch nicht richtig. Guck mal, bei Mercedes z.B. Der Clip mit dem Huhn! Da haben die doch nicht länger das Huhn da gefilmt, als 30 Minuten. Und das Video ist auch eine Minute lang.“
(Dieses Video war gemeint, ihr erinnert Euch: Body Motion Control )
Mir kommt der Weißwein aus der Nase.

Nein.

Mit hoher Sicherheit kann ich sagen, dass das nicht so war. Am liebsten würde ich anrufen und fragen:

Hallo Mercedes, Sir. Wie lange haben Sie das Huhn gefilmt?

Aber das mach ich nicht, weil naja. Hab Schiss, dass ich im Unrecht bin. Hehe.
Darum geht es hier jedoch gar nicht. Es geht einmal darum, dass ich es wirklich nicht verstehe, wieso man immer wieder in Situationen gebracht wird, in denen man sich rechtfertigen soll.
Ich habe Freunde und Bekannte, die Ärzte, Maurer, Tischler, Lehrer, Chemiker – was auch immer sind. Und wenn z.B. mein Freund der Arzt erklärt, dass die letzte OP wirklich schlimm und anstrengend war, dann stehe ich – als offensichtlicher Nicht-Arzt – nicht auf, knalle meine Bierflasche auf den Tisch und sage

Ja komm, heul nicht rum. Wie lang dauert der Bums? 10 Minuten! Hinlegen, Bewusstlosmachen, Aufmachen, Rumschnippeln, Zumachen – Fertig!

Bei kreativen oder Lehr-Berufen, oder auch bei handwerklichen Dingen scheint es dem Gegenüber viel leichter zu fallen, sehr selbstsicher zu hinterfragen und zu kritisieren. So leicht, dass ich mich ab und an am Tisch in großen Runden gar nicht richtig ernst genommen fühle – oder so wie meine andere Freundin, Lehrerin, sagt: Ernst genommen fühlen kann. Denn auch hier gibt es die klassischen Kommentare: „Easy Life, Frau Lehrerin. Sind Sommerferien, wa? Schön 6 Wochen frei.“ „Ja. Genau. Living the dream“, erwidert sie dann mit schmalem Grinsen.

Genau sie hat mich darauf gebracht, diese Situation als Lehrboden zu sehen. Immer wieder zu erklären, wenn Fragen kommen und nicht sauer zu werden oder geistig voll abzuschalten. Denn wer fragt – auch wenn er eigentlich schon alles weiß (hehe) – ist noch immer gewillt was zu lernen.
Im Freundeskreis fällt einem das Ganze natürlich viel mehr auf, als in Gesprächen mit Fremden. In der Regel lehnt sich da niemand so weit aus dem Fenster, dir zu erklären, wie du deinen Job zu machen hast.

Aber Marie, woher kennst du dieses Verhalten? Das Hinterfragen von Entscheidungen, die du schon in Absprache für dein Gegenüber getroffen hast?,

fragt sie. Ich will so etwas sagen wie „Typisch Lehrer. Immer Fragen stellen und ich muss selber auf die Antwort kommen“ – verkneife mir das aber.
Grinse also und sage: Von vielen Kunden.
Hier zeigt sich eine wirklich deutliche Parallele, wenn es um die Startgespräche von Projekten geht. Fast alle Kunden, mit denen ich jetzt schon lange gemeinsam Arbeite, vertrauen meinen zeitlichen Einschätzungen und buchen mich auch genau deswegen. Haben den Ansatz, dass man – wenn man alles in einem 30 Sekunden Video erklären kann, keine 3 Minuten daraus machen muss – verstanden. Kommen selber mit Kurz-Video-Ideen, weil sie gemerkt haben, dass keiner den Imagefilm der Firma, der 5 Minuten lang ist, zu Ende schaut. Und deshalb fruchtet es in den Meetings viel mehr. Plötzlich werden die Anfragen für die ausgeschriebenen Ausbildungsplätze des Betriebes mehr; immer wieder wird auf Instagram und Facebook verwiesen – und das alle Infos so knackig waren, dass „man direkt Lust hatte, den Kontakt zur Firma aufzunehmen“.

So ein Projekt, wo der Ansatz der Agentur auch genau aus meinem Kopf hätte entsprungen sein können und wo direkt klar war, dass „weniger mehr ist“, hatte ich im Februar 2018 auf dem Zettel. Der Input, der dem Zuschauer hier vermittelt werden soll, ist so komprimiert, dass man zwar direkt weiß, worum es geht, aber sich bei Interesse auf der Homepage des Endkunden Betonfertiggaragen e.V. weiter informieren muss. Deshalb waren weder ablenkende, schnelle Schnitte von Nöten oder irgendwelche Effekte, sondern es reichte eine perfekt passende Protagonistin – hier Lina van de Mars – und ein klares, nicht überladenes Bild.

 
30 Sekunden ohne viel SchnickSchnack. Fertig ist das, was der Kunde sich gewünscht hat. Die Infos kommen an, ohne dass du am Ende des Clips nicht mehr weißt, was zu Beginn gesagt wurde.

Kunde, Agentur und Ausführende Kräfte – hier lief alles auf einer harmonischen Ebene ab.

Natürlich gibt es auch noch diejenigen, die von diesem harmonischen Fluss überzeugt werden müssen. Aber genau das ist etwas, was mir immer schon lag und was ich ja eigentlich gerne mache.
Und da löst sich die Parallele dann; bei meinen Kunden werde ich wie gewohnt so lange reden, bis wir alle Ideen im besten Maße gemeinsam untergebracht haben. Beim Weißwein hingegen bleibe ich in Zukunft wohl lieber stumm.